dieselhalle motor / 2014. 8
Laudatio zur Ausstellung ELEKTRIZITÄTSWERKE
HOCHSPANNUNG, STROMAUSFALL, WACKELKONTAKT – die Ankündigung dieser Ausstellung lässt in uns die Sorge aufkommen, wir könnten bei der Betrachtung der heute und hier präsentierten Kunstwerke im Dunklen tappen oder es könnte jederzeit ein unkontrollierbarer Störfall eintreten ... ich kann Sie beruhigen, dem wird nicht so sein ... denn in der Kunst führen Störungen oder Irritationen nicht zwingend zum Notfall, sondern zu neuen Ideen, zu grafischen Raumgebilden, bewegten Lichtzeichnungen oder – wie im Anschluss an meine Rede – zu musikalischen Klangmalereien.
Wir befinden uns in der Alten Dieselhalle des Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil. Bis 1986 wurde der hier installierte Viertakt-Diesel-Motor zur Überbrückung bei Ausfällen oder erhöhtem Energiebedarf genutzt. Heute hat er ausgedient.
Und an diesem besonderen Ort treffen nun drei Künstlerköpfe aufeinander: das Kollektiv köfer/hess und Massimo Milano. Sie haben sich zum kreativen Gedanken-, oder vielmehr Energieaustausch zusammengefunden. Gedankenströme mögen während ihrer Zusammenarbeit geflossen sein, vielleicht erhellte so mancher Geistesblitz das Gebäude. Elektrizität hat bei dieser Kollaboration nur eine nebensächliche Rolle gespielt, vielmehr ging es um eine Bündelung von Ideen – ganz im Sinne eines Synergieeffekts.
Gemeinsam haben sich die drei Künstler auf diesen aussergewöhnlichen Ausstellungsort eingelassen. Dabei entstanden
sind Arbeiten, die explizit auf die räumlichen Besonderheiten und die ursprüngliche Funktion des Gebäudes reagieren und nun eine völlig neue Raumwahrnehmung ermöglichen.
Köfer/hess und Massimo Milano verwandeln die alte Dieselhalle in einen Raum für Kunst, in eine Kapelle der Energie, in ein Cinema Paradiso. Tauchen wir also ein in diese Welt, in der die Ideen und Fragen der Künstler in Form von Kunstwerken – oder besser Energie-Werken – neue Denkprozesse in Gang setzen ... denn das ist Kunst!
Dass Kunst im Kollektiv entstehen kann, beweisen Andri Köfer und Robert Hess seit nunmehr 20 Jahren als eingespieltes Team. An der Schnittstelle zwischen Raum, Skulptur, Bild und Performance entwickeln sie gebaute Landschaften, fragile Aufbauten oder provisorische Behausungen.
Sie lieben das Prinzip des Recyceln, die Umwandlung von Materialien und Ideen. Sie vergöttern den Entstehungsprozess und präsentieren diesen mit Leichtigkeit und Humor. Die Lust am Experimentieren treibt sie voran und so stürzen sie sich in das kreative Chaos, das es zu ordnen gilt.
Der Ausstellungsraum ist ihr Atelier, ihre Werkstatt, ihr Labor, in dem sie tüfteln, konstruieren und ausbalancieren – bis das Ergebnis stimmig ist.
Doch auch wenn sie dem Analogen, dem Handgemachten frönen, ohne Elektrizität war auch ihr Arbeit nicht realisierbar.
Massimo Milano gab die Initialzündung zu diesem gemeinsamen Energieaustausch – ohne zu wissen worauf er sich
einliess. Doch genau das ist eben in der Kunst möglich und in der Liebe ...
Liebe, Hass, Verführung – so betitelt Milano seine grossformatigen Blätter, die mit einem digitalen Zeichenstift am Computer entstehen. Sein Werkzeug ist die elektronische Datenverarbeitung, Elektrizität ist also zwingend – der Strom muss fliessen ...
Benutzte Milano vor ein paar Jahren noch ausschliesslich den Bleistift zur Erfindung seiner Bildwelten, bietet die digitale Bildbearbeitung neue Möglichkeiten: Ideen werden skizziert, abgespeichert oder wieder verworfen, gefundenes Bildmaterial überarbeitet, Zeichen und Strukturen miteinander kombiniert und übereinander gelegt.
Strich für Strich, Ebene für Ebene gewinnt das Bild an Vielschichtigkeit und Dichte.
Während der Zeichenstift im ursprünglichen Sinne dazu dient, Ideen und Gedanken so konkret wie möglich zu veranschaulichen, bleibt hier vieles unkonkret. Die Klarheit der Linien und Konturen ist trügerisch.
Milanos Zeichnungen projizieren ein vages Gefühl – zu viel bleibt unklar, wird nur angedeutet und wirft Fragen auf. Zum Beispiel: Was befindet sich in den Fängen der aufeinander zufliegenden Greifvögel? Oder: was vereint die beiden Mädchen mit den unheimlich-glühenden Augen, die uns schaudern lassen?
Und schon findet man sich wieder in einer Welt der Chimärenhaften Wesen und inneren Dämonen, in einer Welt, in der animalische Kräfte und menschlichen Gefühle miteinander ringen. Körper verschmelzen und stossen sich wieder ab – hin- und hergerissen zwischen zärtlicher Vereinigung oder gewalttätigem Kraftakt
„but love is stonger“ – Wie stark, wie gewaltig kann Liebe sein?
Es sind Massimo Milanos Gedanken, die hier aufgezeichnet sind: Träume von der zwischenmenschlichen Anziehungskraft, vom emotionalen Kräftemessen, von dem, was passiert, wenn Individuen aufeinandertreffen, ihre Gedanken austauschen und neue Ideen generieren.
Der Erfinder, Physiker und Elektroingenieur Nikolas Tesla träumte davon eine Gedankenlesemaschine zu erfinden. Er war überzeugt, dass ein bestimmtes Bild, welches durch Gedanken gebildet wird, auf der Netzhaut des Auges ein entsprechendes Bild erzeuge.
Dieses Bild auf der Netzhaut sollte mit einem geeigneten Gerät aufgezeichnet werden können. Tesla hatte die Idee, eine künstliche Netzhaut zu entwickeln, welche ein Abbild des gesehenen Bildes empfangen und aufzeichnen könnte. Leider verstarb er, bevor er mehr Details über seine Erfindung bekannt geben konnte.
Stellen wir uns also vor, köfer/hess und Massimo Milano hätten eine solche Maschine erfunden. Dann befinden wir uns also jetzt im Inneren des Apparates und betrachten, was in den Köpfen der Künstler Form annimmt.
Wir blicken hinein in ein schillernd, farbig-leuchtendes Kaleidoskop und lassen die Bilder, Muster und Strukturen ihre Kraft entfalten.
Auch wenn dir drei Künstler unterschiedliche Gedanken verfolgen, unterschiedliche Themen und Materialien bearbeiten,
gemeinsam haben sie im Spiel mit Raum und Fläche, Struktur und Bild einen sakralen Raum erschaffen, in dem Natur und Technik gleichermassen verehrt werden.
Sie verwandeln diesen Raum in einen Ort der gezeichneten Träume, der gebauten Visionen und tapezierten Phantasien – einen Ort, an dem die KUNST Energie liefert.
Diese kreative Energie dient nicht dazu Strom zu produzieren, sondern sie liefert Inspirationen und erzeugt in unseren Köpfen Neugier, sie kann in neue Ideen umgewandelt werden, sie überträgt sich bei Gesprächen und Diskussionen und trotz Meinungsverschiedenheiten und Reibungen geht bei dieser Form der Umwandlung keine Energie verloren
Damit hätten die Künstler also auch ein perpetuum mobile erfunden ... oder um es mit den Worten der Künstler selbst zu sagen.: Die kreative Energie ist die einzige Energieform, deren Ressourcen unerschöpflich sind.
Fanny Vogler, 28.08.2014