exellent birds / 2016. 3
serigrafie auf seidenpapier, epoxydharz, glasfasern, farbe, schnüre, metall zwingen
fliegen – flattern – flunkern, Bemerkungen zur Installation „Excellent Birds“
Da hängen Äste, oder sind es Röhren, oder etwa Knochen…? Keiner ist gleich wie der andere. Die fünf Objekte scheinen zu schweben - oder fallen sie?
Nein, sie sind gehalten durch gut sichtbare Schnüre. Alles ist in einem fragilen Gleichgewicht fein austariert.
Im unteren Bereich schwebt ein kraftvolles pflanzenartiges UFO. Es erinnert an eine Koralle, an eine Fleisch fressende Pflanze vielleicht, oder an ein Sonnenrad. Es könnte auch ein Vogel sein. Diese Form gibt der ganzen zarten Installation Gewicht und Energie. Wie Flammen lodern die rötlichen Verzweigungen.
Was ist wohl mit den etwas rätselhaften Objekten gemeint? Was haben sie mit den „Excellent Birds“, den „ausserordentlichen Vögeln“, die der Titel des Kunstwerks nennt, zu tun?
Nun, wo es Vögel gibt, sind Bäume nicht weit; dort, wo sie ihre Nester bauen, in den Ästen und Zweigen.
Also doch ÄSTE, genauer: Birkenzweige. Die Künstler haben kleine Zweige als Modelle gesammelt. Daraus haben sie Schritt für Schritt und ganz handwerklich diese Astformen entwickelt. Man legt alles hin, schaut sich die Formen genau an, misst sie aus, bespricht und diskutiert ein mögliches Vorgehen. Schliesslich werden die Zweiglein 37 Mal vergrössert und mit Styropor nachgebildet.
Es ist keine Computertechnik im Spiel, kein Einscannen und dann Ausdrucken, kein Fräsen mit Maschinen, geschweige denn haben köfer | hess die Arbeit von Assistenten machen lassen, wie es heute in der zeitgenössischen Kunst durchaus üblich ist.
Über die Styropor-Modelle wurde ein Glasfasergewebe gelegt, dann mit Epoxidharz gefestigt. Nach der Aushärtung der Astform wird das Modell wieder entfernt. Das Ganze sollte möglichst leicht sein.
Zum Schluss werden die Zweige raffiniert mit feinen Siebdruckfragmenten ummantelt. Die Motive stammen von Fotografien früherer Werke des Künstlerduos – diese bekommen dadurch einen Ort der Erinnerung und existieren so in neuer Form weiter.
Auch die Schnüre sind nicht neu und erinnern die Künstler an Projekte, bei denen sie bereits einmal verwendet worden sind. Die Sichtbarkeit der Schnüre ist wichtig, es soll keine Illusion des Schwebens erzeugt werden.
Die kleinen Metallzwingen sind übrigens ebenfalls selbst hergestellt und speziell für dieses Geländer entworfen worden. köfer | hess legen Wert auf die Tatsache, dass die gesamte Installation bei Bedarf leicht und rasch wieder demontiert werden könnte.
Äste wachsen aus einem Stamm, der in der Erde verwurzelt ist. Die Künstler fügen den vergrösserten Zweigen hier also noch einen Wurzelstock hinzu. Dieser hat allerdings eine weite künstlerische Metamorphose durchgemacht: er hat sich in die Luft erhoben und sogar umgestülpt.
Wurzeln, die sich plötzlich zum Himmel, zum Licht wenden und ihre Gestalt kühn verändern: Das war die Idee der Künstler. Mit den Wurzeln, die sonst unterirdisch wachsen und wuchern, ist im Kunstwerk auch das Chaos präsent, das Brodeln im Untergrund, die Höllenglut, die gestaltend in unser Leben eingreift. Die Äste könnten jetzt mit einem Mal auch ein unterirdisches Röhrensystem darstellen – das Reich des Unbewussten.
Hans Arp (1886-1966), ein Dadaist und Surrealist der ersten Stunde, erklärte in einem Gedicht (1942) was ein Purzelbaum sei. Kinder schlagen Purzelbäume, wir würden es manchmal am liebsten tun um einem grossen Glücksgefühl Raum zu geben. ARP sagt:
Der purzelbaum
Besteht aus
Den purzelblättern
Den purzelzweigen
Den purzelästen
Dem purzelstamm
Und den purzelwurzeln
Alles ist auf den Kopf gestellt, entwurzelt sozusagen. Dadurch entsteht eine andere Sicht der Dinge - was nie schaden kann…
Beim Gang durch dieses Treppenhaus ändert sich der Blickwinkel auf den urwüchsigen Wurzelstock fortwährend. Stets ergeben sich wieder andere Durchblicke und verschiedene Ansichten.
Ist DAS vielleicht das Herz-Stück der Installation? Die eigenen Wurzeln umstülpen – manchmal braucht es das…
Von der Eingangshalle her geht der Blick in diesem Lichthof wie von selbst nach oben, wo man den Himmel sieht. Von den oberen Stockwerken zieht es den Blick unwillkürlich nach unten. Dieser Sog wird durch die Zweige aufgefangen und durch die umgestülpten Wurzeln wieder nach oben gelenkt.
Auch bei diesem Wurzelstock, der das Innere nach Aussen kehrt, ist der handwerkliche Aspekt wichtig, man soll sehen, wie daran gearbeitet wurde: eine „Bastelei“ im allerbesten Sinne.
Andri Köfer und Robert Hess erarbeiten ihre Kunstwerke gemeinsam in einem längeren Schaffensprozess, der als Vorbild für die Gestaltung einer lebensfreundlichen Gesellschaft gelten kann. Die ursprüngliche Idee konkretisiert sich fortlaufend im gemeinsamen Tun und Reden, Nachdenken und wieder Verwerfen, Ändern und Weitermachen.
Die einzelne Autorschaft soll am Werk nicht ablesbar sein.
Diese Objekte sind also Elemente eines Baumes und der Baum ist möglicher Lebensraum für allerlei Vögel.
Der Titel der Installation heisst ja: Excellent Birds
Es ist ein Song-Zitat von Laurie Anderson und Peter Gabriel aus dem Jahr 1984:
Flying Birds. Excellent Birds. Watch them fly. There they go. […]
Vögel fliegen [Fliegende Vögel], ausserordentliche Vögel, sieh’ wie sie fliegen, dort(hin) gehen sie…
Aber wo sind sie, die Vögel? Schauen Sie nach oben!
Auf jedem Stock wurden auf sieben der runden Deckenlampen transparente Siebdrucke mit Vogelmotiven appliziert. Kein Bild ist gleich wie das andere. Die Künstler haben aus einem naturhistorischen Buch des 19. Jahrhunderts fünf Vogeldarstellungen ausgewählt. Auf jeder Lampe sind immer zwei Vogelarten zufällig miteinander kombiniert worden, das heisst, die Abbildungen sind übereinander auf Seidenpapier gedruckt; und dies in verschiedenen Farbvariationen.
In diesem Treppenhaus herrscht tagsüber ein emsiges Hin- und Her, ein Auf und Ab in den Gängen, auf den Treppen – in Bezug auf das Thema der Vögel denkt man unwillkürlich an die bunte Betriebsamkeit in einer Volière.
Weil das Licht durch die Bewegungsmelder immer mal wieder ablöscht und einschaltet, entsteht zusätzlich ein reizvolles Wechselspiel.
Schauen Sie zu den Lampen hinauf:
Erkennen Sie die Vögel? Sehen sie die Eule, den Pfau oder den Wasserläufer? Vielleicht entdeckt jemand auch einen Paradiesvogel oder einen Wandervogel. Hat es gar einen Pechvogel oder einen Spassvogel? Einen Pleitegeier? Zwei Turteltäubchen?
Vögel und Menschen sind in ihrer Lebenswelt miteinander verbunden.
Vögel sind schön. Ihr Gefieder erfreut das Auge, ihr Gesang das Ohr.
Im Frühling kündigt der Gesang der Vögel das Wiedererwachen der Natur an und ihr Morgenkonzert das Ende der Nacht. Die Vögel können sich hoch in die Luft erheben, etwas was den Menschen die längste Zeit verwehrt war. - Sie sind dem Himmel und damit vielleicht auch dem Göttlichen näher.
Viele Geschichten , Lieder und Bilder erzählen von Singvögeln, Seelenvögeln, Zaubervögeln und allerlei schrägen Vögeln.
Der Vogel erscheint als Erlöser und Retter, als Bild für Geist, Seele und Unsterblichkeit, als süsser Vogel Jugend, als Liebesbote.
In der Kunst sind allerlei geflügelte Wesen oft Ausdruck der Sehnsucht des Menschen, in andere Räume vordringen zu können.
Fliegen können wie die Vögel: ein Wunschtraum!
Gedanken, die frei wie Vögel davon fliegen, über jede Grenze hinweg, oder aber unstet da- und dorthin flattern – das hingegen kennen wir.
Ein eingesperrter Vogel hat immer etwas Trauriges - Gedanken in Käfigen auch.
Und manch einer oder eine, die wild denken, träumen und neue Ideen entwickeln wollte, musste sich schon die Frage gefallen lassen „Häsch en Vogel?!“ Spinnst du? Was hast du bloss für schräge Gedanken?!
Nach altem Volksglauben nisten im Kopf von verwirrten Menschen Vögel! Daniel Düsentrieb hat eine „Denk-Kappe“, in der drei Raben nisten, die jeweils mit ihrem „Gespräch“ den Erfinder inspirieren – oder ihn stören, je nach dem.
Der Philosoph Vilém Flusser (1920-1991) verglich die menschliche Hand mit einem fliegenden Vogel : „Die Handbewegung ist Wahrnehmung, Verständnis, Begreifen und Veränderung in die „Tiefe“, in den Raum hinein.“
Das Motiv und der Titel der Installation passen wunderbar für das Schaffen in diesem Haus: Es ist die Begegnung von Menschen, das gemeinsame Ringen um Verständnis, um Veränderung, um Freiheit, um Freiheit von Gedanken.
Es entstehen neue Formen der Lebensgestaltung, neue Geschichten, neue Perspektiven für die Menschen, die in einer Krisensituation hierher kommen.
Mit der Fragilität der Zweige und dem dramatisch schönen exotischen Wurzelstock - alles von Schnüren sichtbar und fein gehalten - beantwortet dieses Kunstwerk das oft prekäre Gleichgewicht im Leben zwischen Wertlosigkeit und Kostbarkeit.
ABER heute Abend soll gelten:
S’isch mer alles ei Ding, ob ich lach oder sing
Han es Härzeli wie-n-es Vögeli, darum lieben-i so ring…
…herrlich, wie in diesem harmlos daher geträllerten Liedchen der gesellschaftliche Anspruch, bitte nicht flatterhaft sondern seriös zu sein, mit viel Leichtigkeit unterlaufen wird.
Ich möchte Sie nicht erschrecken mit der Aufforderung, nun noch ein gemeinsames Liedchen anzustimmen…. Aber ich möchte Sie zum Schluss ermuntern, einander beim Apéro von all den Kinder-, Volks- und Liebesliedern zu erzählen, in denen Vögel vorkommen …
Ich höre Sie jetzt schon summen und pfeifen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Madeleine Witzig, 8. März 2016
«excellent birds»
einladung zur einweihung der installation
von köfer | hess
für das psychiatrie-zentrum linthgebiet
zürcherstrasse 1, 8730 uznach
dienstag, 8. märz 2016, 16 uhr und 18 uhr
begrüssung:
rita hüppi, vizepräsidentin gemeinderat uznach
karlheinz pracher, leiter psychiatrie-zentrum
laudatio:
christoph eicher, ceo psychiatrie-dienste süd
fliegen, flattern, flunkern:
madeleine witzig, kunsthistorikerin, kunsthaus zürich
ziziziwiliwilizizizispenzia <
vogelzwitschernde einwürfe von
dr. uwe westphal, vogelstimmen-imitator, hamburg
turmfalken in bubikon, video 40“
präsentiert von dr. s. scientific artist
anschliessend:
60
pochierte eier <
zubereitet von köfer | hess unter besonderem mitwirken
von meisterlandwirt martin blum, samstagern
mit freundlicher unterstützung der psych.süd <